In der nötigen Debatte um das Wohl der Tiere, die wir essen, gibt es in den Reihen der Grünen (und der SPD) den Vorschlag, Fleisch höher zu besteuern, um „dem Billigfleisch“ den Garaus zu machen.
Leider ist dieser Vorschlag aus verschiedenen Gründen sehr schlecht und offenbart ein sehr viel tiefer liegendes Problem.
Kleines Problem
Am wenigsten problematisch ist, dass eine Partei, die den Ruf genießt, alles über Verbote und Steuern regeln zu wollen, weil sie so herzlich unkreativ ist, diesem Ruf auch hier gerecht wird.
Echte Probleme
Problematischer ist, dass diese punktuelle Steuererhöhung diejenigen Menschen besonders trifft, die ohnehin nur in geringem Maße Zugang zu Dienstleistungen und Konsumgütern haben. Auch problematisch ist, dass diese Art der Besteuerung ideologisch, punktuell und willkürlich ist und deshalb auch von Gerichten kassiert werden könnte. Es kann nicht sein, dass wir Betriebe politisch dafür bestrafen, dass sie im Rahmen des geltenden Rechts Produkte herstellen und anbieten. In Deutschland werden Nutztiere massenhaft lebenslang gefoltert und alleine 13 Millionen Schweine werden bei uns jedes Jahr nach einem qualvollen Leben direkt der Mülltonne übergeben. Dieser Zustand ist für viele Menschen unerträglich – aber er ist, Stand jetzt, legal.
Das Hauptproblem
Schlimmer noch als der Aspekt der ideologischen Flickschusterei, die die finanzielle Unterschicht zusätzlich belasten würde, ist aber, dass diese Maßnahme reine Symptomkosmetik ist und vollkommen wirkungslos bleiben würde.
Die Idee, dass Menschen weniger Fleisch kaufen, wenn das 200-Gramm-Schweineschnitzel beim Discounter statt 1,30 Euro jetzt 2,30 Euro kostet ist wohl ebenso im Reich der Fantasie zu verorten wie die Illusion, dass die so eingenommenen Steuergelder in irgendeiner Weise zum Wohl der Tiere eingesetzt würden. Außer wachsendem Unmut und einer wachsenden Ablehnung gegenüber der Ökologie insgesamt hätte dieser Vorschlag des politischen Arms der Ökologie keine Konsequenzen. Außerdem geht es nur darum, die für Lebensmittel reduzierte Mehrwertsteuer von 7 Prozent für Fleisch auf 19 Prozent zu erhöhen. Damit würde das Discounter-Schnitzel von 1,30 Euro auf 1,45 Euro verteuert – wie viele Käuferinnen oder Käufer würde das abhalten?
Das Tragische an dem Vorschlag der Fleischsteuer ist aber im Grunde, dass es offenbart, wie wenig Grundverständnis unsere Spitzenpolitiker-/innen für gesellschaftliche und politische Zusammenhänge mitbringen und wie sehr sie an der Oberfläche herumkratzen, anstatt das Grundproblem zu behandeln.
Das Grundproblem
Das Problem mit dem Billigfleisch ist nämlich auf dasselbe Grundproblem zurückzuführen wie viele andere Herausforderungen, die unsere Gesellschaft derzeit hat. Und dieses Problem lautet unsichtbare Quersubventionierung.
Unsichtbare Quersubventionierung
Inzwischen weiß man, dass der Markt eben nicht alle Probleme löst. Der Markt löst die Probleme des Kapitals – und dort, wo keines ist, versagt er zuverlässig. Aber: Es gibt Probleme, die der Markt löst. Voraussetzung dafür ist aber, dass die Spielregeln so gestaltet sind, dass der Anreiz für das Kapital sinnvoll gestaltet ist. Was soll das bedeuten?
Um ein Problem durch den Markt lösen zu lassen, muss man dem Problem auf den Grund gehen und es verstehen. Und das Problem beim Billigfleisch ist nicht, dass der Kunde im Laden zu wenig pro Kilo bezahlt. Das Problem ist, dass Fleisch unsichtbar quersubventioniert ist.
Lassen Sie mich das kurz erläutern.
Wenn Sie zuhause den Wasserhahn aufdrehen, bezahlen sowohl für das Wasser, als auch für das Abwasser. Sie bezahlen die Bereitstellung von sauberem, gereinigtem Trinkwasser einerseits und Sie bezahlen für den Abtransport und die erneute Aufbereitung des Wassers, damit Sie es danach wieder trinken können. Man könnte den Preis von Leitungswasser natürlich dadurch senken, dass man das Abwasser einfach in einen riesigen Vulkankrater schüttet, in der Hoffnung, dass es niemals überläuft, irgendwie von selbst verschwindet oder dass irgendwann irgendjemand dieses Wasser schon wieder sauber machen wird; spätestens, wenn das saubere Wasser alle ist.
Und genau so machen wir es derzeit. Und zwar weltweit.
Und der Krater läuft über.
Schweine werden (meistens prophylaktisch) mit Antibiotika behandelt, die aus dem Trinkwasser gefiltert werden müssen. Schweine erzeugen Gülle, mit der gedüngt wird welche den Nitratgehalt der Böden in Deutschland erhöht. Und zwar so weit, dass der EuGH Deutschland bereits mehrfach verklagt hat deswegen. Schweine erzeugen Methan, eines der wirksamsten Treibhausgase. Wer macht das weg?
Ein Schwein und eine Kuh und ein Langstreckenflug machen keinen Unterschied. Aber in der Summe erzeugen diese Emissionen als anonymisierte Masse Schäden, die Weltweit in die Billionen reichen und sich im kommenden Jahrzehnt vervielfachen werden. Und wer bezahlt das Herausfiltern der Antibiotika? Wer bezahlt das (zukünftige) Herausfiltern von Giften aus den Böden und Meeren und von Treibhausgasen aus der Luft?
Wir – und zukünftige Steuerzahler.
Der Grund, warum das Schweinefleisch so billig ist, ist, weil der Hersteller uns die immensen Kosten, die er verursacht, querfinanzieren lässt. Für manches bezahlen wir jetzt schon direkt, für anderes müssen unsere Kinder und Enkel aufkommen. Ökonomen nennen das gerne externe Kosten.
Wenn man dieses Prinzip der unsichtbaren Quersubvention einmal erkannt hat, findet man es überall. Raucher zum Beispiel geben gerne damit an, dass sie ja über die Tabaksteuer hohe Abgaben bezahlen und dann früher sterben – was ein Plus für die Gesellschaft bedeute. Man könnte nicht ferner liegen:
Nichtraucher bezahlen die Hälfte jeder Zigarette
Erstens fällt der Durchschnittsraucher nicht einfach um, sondern lässt sich vorher noch sein Raucherbein amputieren oder den Lungenkrebs mit Chemotherapie behandeln. Die Kosten, die Raucherinnen und Raucher allein in Deutschland jährlich durch das Rauchen verursachen, liegen über 80 Milliarden Euro, drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zum Vergleich: Für das „größte Hilfspaket der Geschichte Deutschlands“ zur Minderung der Corona-Krise nimmt der Bund 156 Milliarden Euro in Krediten auf. Zwei Jahre Rauchen in Deutschland.
Um diese Kosten nicht auf die Allgemeinheit abzuwälzen, müsste eine Packung Zigaretten mindestens 12 Euro kosten; andere Schätzungen gehen darüber sogar noch hinaus. 12 Millionen Deutsche rauchen. Eine Zigarette kostet derzeit ca. 32 Cent. Wenn Sie Nichtraucher sind und jemanden sehen, der sich eine der 74 Milliarden jährlich in Deutschland gerauchten Zigaretten anzündet, wissen Sie jetzt, dass Sie selbst über Ihre Krankenversicherung nochmals knapp 30 Cent drauflegen, damit dieser Mensch sich später für sein Privatvergnügen behandeln lassen kann. (Außerdem landen jedes Jahr 4.500 Milliarden, also 4,5 Billionen Zigarettenfilter in den Ozeanen, sie bilden damit ein Drittel aller Plastikteile im Ozean und vergiften damit 450 Kubikkilometer Wasser, was dem neunfachen Volumen des Bodensees pro Jahr entspricht. Für die Wiederherstellung dieses Wassers bezahlen aber nicht Sie, sondern Ihre Kinder).
Stellen Sie sich einmal vor, jemand würde vor Ihren Augen auf dem Marktplatz einen dieser prall gefüllten blauen Bauschutt-Müllsäcke öffnen und 120 Liter Zigarettenkippen auf dem Kopfsteinpflaster verteilen – und einfach weggehen. Und dann noch jemanden, der dasselbe tut. Fänden Sie das empörend? Dabei ist das nur die Menge an Stummeln, die bei einem Raucher (der täglich eine Schachtel raucht) in fünf Jahren zusammenkommt. Und wie viele Raucherinnen und Raucher werfen mit der größten Selbstverständlichkeit ihre Kippen aus dem Autofenster oder treten sie auf der Straße aus? Das passiert millionenfach täglich. Und wenn man diese Menschen auf ihr Verhalten anspricht, dann empfinden sie das oftmals als Angriff auf ihre persönliche Freiheit.
Das Problem mit der Freiheit
Menschen sollten die Freiheit haben, Fernreisen zu machen. Sie sollten Sportwagen fahren können, die beliebig viel Hubraum haben, sie sollten, wenn sie das ethisch vertretbar finden, Fleisch essen können. Sie sollten Kreuzfahrten machen können, in Betonhäusern wohnen können und Spielzeug, Flaschen, Tüten und Verpackungen aus Verbundstoffen kaufen können. Wir haben schließlich ganze Generationen dazu bewogen, langwierige, teure Ausbildungen zu machen und hart zu arbeiten, mit dem Argument, dass Sie ihre Leistung in Wohlstand, also in Waren und Dienstleistungen und damit in einen signifikanten Anteil ihrer Lebensqualität umwandeln können. Und wenn jetzt „plötzlich“ Umweltschützer/-innen und Wissenschaftler/-innen daherkommen und einem das alles verbieten, dann fühlt man sich zurecht verschaukelt. Man kann Menschen, die diese Dinge für sich gekauft haben auch nicht vorwerfen, dass sie Sozialschmarotzer waren – denn diese Seite des Deals wurde nie jemandem erklärt.
Dasselbe Problem taucht überall zugleich auf
Aber jetzt wird dieser Zusammenhang an vielen Stellen zugleich sichtbar. Es wird sichtbar, dass diese Dinge alle so billig erscheinen, weil sie aus Sicht der Gesamtkosten oft zur Hälfte oder mehr auf Pump gekauft sind – und weil einen großen Teil der wirkliche Kosten großzügig die Allgemeinheit übernimmt.
Das ist ein fundamentales gesellschaftliches und ökonomisches Problem, um das wir in den nächsten Jahren nicht herumkommen werden. Dieses Problem betrifft aber eben nicht nur Fleisch, sondern auch alle anderen Produkte und Dienstleistungen, die Kosten durch unsichtbare Quersubventionierung verschleiern. Kerosin wird mit null Prozent besteuert. Der Staat gibt durch diese Quersubventionierung aktiv Milliarden aus, damit wir mehr fliegen und weniger Bahn fahren. Und redet uns gleichzeitig ins Gewissen, dass wir es nicht tun sollen. Die Ausrede, dass Flieger im Falle einer Kerosinsteuer woanders tanken, zieht nicht. Staaten haben nichts davon, dass bei ihnen getankt wird, wenn dafür keine Steuern erhoben werden.
Was bedeutet das für die Politik?
Es ist die Aufgabe der Politik, die Gemeinschaft vor der Übernahme dieser von Unternehmen und Konsumenten verursachten Individualkosten zu schützen. Wenn der Konsument das „Wasser und Abwasser“ seiner Konsumgüter und Dienstleistungen selber bezahlt, dann bekommen die ganz von selbst den Preis, den sie wirklich haben. Und dann gibt es auch keinen Grund mehr, auf Menschen zu schimpfen, die Kreuzfahrten unternehmen. So, wie man nach einem Picknick seinen Müll mit nach Hause nimmt, so müssen Produkte und Dienstleistungen derart gestaltet sein, dass sie dauerhaft möglich sind. Das wusste auch schon Kant und auch andere kluge Leute wussten das schon vor ihm. Die „Eigenverantwortlichkeit“ des Marktes scheint in unserer Ökonomie aber bislang zu bedeuten, dass jeder Marktteilnehmer nur für sich selbst verantwortlich ist – und den anderen so viele Kosten aufbürden darf, wie er nur kann.
Um diese freie Gesellschaft zu erschaffen, in der jeder fahren, fliegen und essen kann, was er oder sie will, muss die Politik:
- die Kapazitäten schaffen, die entstehenden Gesundheits- und Umweltschäden zu reparieren, also zum Beispiel CO2 aus der Atmosphäre zu filtern und zu Kohlenwasserstoffen zu rekondensieren. Dafür ist ein sehr niedriger Energiepreis aus einem Überangebot an erneuerbarer und nuklearer Energiegewinnung nötig
- ermitteln, was die realen Gesamtkosten eines Produkts oder einer Dienstleistung sind und diese Kosten beim Konsumenten eintreiben und damit
- Kreislaufsysteme schaffen, die verlustfrei geschlossen sind anstatt Land, Meere und Atmosphäre als „Halde“ zu verwenden und die Bürde den zukünftigen Generationen aufzuladen
- Die Kosten für Umweltverbrauch und Gesundheit so auf die Erzeuger umzulegen, dass der ökonomische Anreiz zugleich ökologische Anreize schafft. Derzeit bestehen ökonomische Anreize überwiegend mittelbar über die Nachfrage einiger Kundenschichten. Nur wenn ökologische Anreize ökonomische Anreize umfassen, also die realen Kosten einbeziehen, kann der Markt unsere (Umwelt-)Probleme lösen
Diese Maßnahmen werden, weil sie Genuss- und Konsumgüter betreffen, gesellschaftlich auf breiten Widerstand stoßen, darum ist Aufklärung hier extrem wichtig. Je später wir bezahlen, desto teurer wird es. Außerdem würden diese Maßnahmen auch Gelder einspielen, die anderswo für Entlastungen eingesetzt werden sollten. Durch die Infrastruktur, die für die Reparaturkapazitäten geschaffen werden, werden auch Arbeitsplätze geschaffen.
Unsere Ökonomie basiert auf der Idee, dass Kosten irrelevant sind, wenn jemand anderes sie trägt. Leider hängen Länder und Märkte zusammen, wie wir in der Coronakrise deutlich gesehen haben. Unternehmen und Verbraucher erzeugen einfach zu viele Schwarze Peter, um diese weiterhin den anderen zuzuschieben. Natürlich kann so eine Transformation hin zu einer nachhaltig funktionierenden Marktwirtschaft nicht von heute auf morgen gelingen. Aber wir müssen jetzt ein breites Bewusstsein dafür schaffen, damit die Politik diese Aufgabe entschlossen angehen kann.