Dieser Beitrag gehört zum Zyklus „Über Improvisationstheater für Impro-Spielende.“ Er enthält die Beschreibung der Übung Ideenverbot.
Haufen oder Mannschaft?
Eine tolle Szene wirkt wie eine gut durchdachte Komposition. Und das, obwohl sie beim Improtheater eher mit dem Ergebnis einer mutigen, respektvollen Jam-Session vergleichbar ist. Wenn Mut und Respekt in Schieflage stehen, entstehen Szenen, Geschichten oder sogar ganze Auftritte, die für das Publikum erkennbar von Einzelnen geführt werden, während die anderen auf der Bühne überwiegend folgen. Einfluss und Anzahl von Beiträgen sind sehr ungleich verteilt und diejenigen Impros mit mehr von beidem werden – je nach Sympathielage – als Publikumsliebling oder als Rampensau bezeichnet.
Eine solche Schieflage kann aber nicht nur durch zuviel oder zuwenig Mut oder Respekt oder durch ihre Ungleichverteilung entstehen, sondern auch durch mangelnde Erfahrung oder Technik. Die Impros achten zu wenig auf Beats und fallen deshalb immer wieder aus dem gemeinsamen Rhythmus.
Beats: Geben ist schwierigier als nehmen
Beats zu spüren, ist relativ schnell gelernt. Dazu gibt es eine Reihe von zielführenden Übungen, die man sich auch als Hobby-Ensemble bei Improwiki einfach suchen kann. Beats aus einem Instinkt heraus regelmäßig zu setzen und damit Publikum und Mitspielenden Klarheit zu verschaffen, das ist eine Frage von Training, Übung und einer achtsamen, erfahrenen Probenleitung. Wer die Beats beherrscht, kann sich als Impro an den Bewegungen des Publikums erfreuen: Die Leute drehen das offen stehende Gesicht wie bei einem Tennis-Match abwechselnd nach links, rechts, links – und das, ohne dass die Spielenden auf der Bühne sich groß bewegen oder abmühen müssen. Sogenannte Fenster für andere Impros zu lassen – also, nach einem klaren Impuls oder einer abgeschlossenen Aussage Stille zu wahren und den Fokus geduldig auf die Reaktion seines Gegenübers zu legen – ist eine der größten Herausforderungen für diejenigen, die Impro am meisten genießen: die jungen, wilden, die auf der Bühne bis zu den Haarwurzeln in Adrenalin und Dopamin schwimmen.
Das Geschenk von gutem Rhythmus und einer guten Basslinie
Wer Beats gut setzt, muss auch nicht nonstop „liefern“. Anstatt sich selbst mit einem hohem Tempo von selbst Ausgedachtem unter den Druck zu setzen, im gleichen Tempo immer weiter nachzuliefern, lassen Teams mit gutem Beat jeden Beat einschlagen wie einen Paukenschlag. Anstatt einen Trommelwirbel aus ständig Neuem auf die Menschen niederprasseln zu lassen, sind die Akzente einer erfahrenen Mannschaft wie Donnerschläge, die Zwerchfell und Emotionen der Zuschauenden erzittern lassen und sie zu Mitfiebernden machen. Die Zeit, in der der Donner sich ausbreitet, ist mitnichten leer und langweilig – sondern bitter nötig, damit das Publikum die Wirkung überhaupt erzeugen und manifestieren kann. Wer hektisch und aus dem Kopf spielt, erreicht mit viel mehr Anstrengung und Stress sehr viel weniger beim Publikum. Profi-Mannschaften machen viel gezieltere Dinge, die wirken, und machen deshalb viel, viel weniger als Anfänger-Manschaften.
Wie macht man das jetzt genau? Oder: Wie geht „Ideenverbot“?
Eine der wichtigsten Übungen, die ich mit Gruppen mache, bei denen das ein Thema ist, ist „Ideenverbot“. Das funktioniert so: Sobald ein(e) Impro in einer Szene etwas sagt, das etwas Neues in die Szene bringt, also etwas, das nicht schon für alle (!) im Publikum offensichtlich ist, machen wir möööp und diese Aussage oder Handlung wird zurückgenommen. Alles, was die Spielenden dürfen, ist auf etwas zu reagieren, was der oder die PatnerIn gemacht hat. Eine Haltung der anderen Person gegenüber ist erlaubt, aber keine Plotidee, keine erwähnten Personen, keine pantomimischen Gegenstände, keine Fragen, keine Bezüge nach außen. Ja, das funktioniert. Das Resultat sind wunderbar echte, spannende, urkomische oder berührende Szenen.
Der Effekt
Mit dieser Übung lernen die Impros, sich auf ihre Beobachtungsgabe und auf ihre PartnerInnen zu verlassen anstatt auf das, was ihnen einfällt. Bühnenpartner und sich bewegende Körper sind immer da (und wenn es der eigene ist), Einfälle könnten ausbleiben oder versiegen. Impros, die das verinnerlicht haben, geraten nie wieder in Panik. Sie sehen, dass ihre unkontrollierte Reaktion auf etwas:
- immer möglich ist
- keine Idee oder Kontrolle braucht
- sehr schnell und mühelos geht
- beim Publikum immer sehr gut ankommt.
Ein Allheilmittel
Die Konzentration auf Beats und das Warten auf etwas, auf das man reagieren kann, löst noch weitere Probleme gleich mit; Fokus wird dadurch einfacher. Charakterarbeit vereinfacht sich. Szenen werden nicht mehr zu Tode erklärt. Publikum und Spielende können den Spannungsbogen besser nachvollziehen. Die Tendenz, um den heißen Brei herumzureden, anstatt die Szene voranzutreiben, wird abgemildert. Und letztlich hilft die Technik bei dem für die Verbesserung des Spiels unverzichtbaren Schritt, verbale Sprache durch Körpersprache zu ersetzen. Gute Ensembles erkennt man daran, dass sie aktiv und gemeinsam gute Beats setzen.